Ausbildung in Deutschland ist nicht mehr gesellschaftsrelevant –
Das Scheitern der „Woche der Ausbildung“ mit Ansage!
(Lesezeit: 6 min)
In der letzten Woche war vom 14. – 18. März 2022 die Woche der Ausbildung und keiner hat sie bemerkt, geschweige denn vermisst.
Stellt man die Frage an Google wird noch der Hashtag #real_talk angezeigt, doch gibt man diesen direkt ein, erscheinen YouTube Kanäle mit diesem Namen oder Beiträge aus 2015.
Es ist bitter, während das Ausbildungsmodell duale Ausbildung in anderen Ländern auf großen Zuspruch trifft, scheint es in Deutschland keine Relevanz mehr zu haben. Die Rede ist von lieber studieren, statt ausbilden. Die Aussagen gehen eher zur Studienwahl, statt zu Praktika und Ausbildungen.
Doch woran liegt das denn?
Aktuell geht man von 530.000 Jugendliche aus, die im Jahr 2022 einen Ausbildungsplatz suchen, Tendenz sinkend. Eigentlich müsste jetzt überall in den Industrie- und Gewerbegebieten rote Teppiche ausliegen, Eltern müssten mit ihren Kindern durch die Unternehmen tingeln und die Ausbildungsbroschüre mit über 1.200 Ausbildungsberufen der Agentur für Arbeit dürfte aktuell nicht mehr wegzudenken sein.
Doch Fehlanzeige.
Was sind die Gründe für das Scheitern des Erfolgskonzept Duale Ausbildung? Und wieso scheint es in Deutschland nicht mehr gesellschaftsrelevant zu sein?
- Das Handwerk wurde lange Zeit mit den Attitüden Schwerstarbeit, mit dreckigen Händen ohne Lohn verteufelt.
- Eltern sind so in ihrer Rolle als Helikopter Eltern versunken, dass sie nicht mehr auf Entdeckungsreise mit ihren Kindern gehen.
- Der Wandel in der Arbeitswelt ist auch bei den Ausbildungsplätzen angekommen. Und dies in einer Geschwindigkeit, die der Gesellschaft heute kaum noch die Möglichkeit gibt, Schritt zu halten, um auf dem Laufenden zu sein.
- Die Berufe der Zukunft erlernt man nicht mehr nur in vorgegebenen Ausbildungsrastern. Sie kommen heute aus der Digitalen Welt des selber Lernens, dem Gaming oder aus YouTube.
- Der Stolz der Ausbildung und deren Berufe scheint verloren gegangen zu sein.
Doch der Reihe nach.
Das Handwerk befindet sich im radikalen Wandel – wie eigentlich die gesamte Gesellschaft. Ein Fensterbauer trägt die Fenster nicht mehr selbst in den 2. Stock, sondern der bestellte Kran erledigt dies, denn die Kosten für diesen sind wesentlich niedriger als ein 4-wöchiger Ausfall eines Mitarbeiters mit Rückenleiden. Der Schreiner arbeitet heute nicht selten mit 3D CAD Programmen, die den Stoff für die Aufträge an die 5-Achser CNC Fräsmaschine liefern und die vom IT-Arbeitsplatz aus angesteuert werden. Und nicht zu vergessen der Heizungsbauer (Heizung-Klima-Sanitär Anlagenmechaniker), der es mit wesentlich leichteren Brennwertgeräten zu tun hat und die über SMART Home in die individuelle WLAN-Infrastruktur eingebunden wird. Und so steuert der moderne Heizungsbauer die Anlage über sein SmartPhone. Doch all dies scheint an dem Bewusstsein mündiger Eltern vorbei gegangen zu sein.
Und nicht zu vergessen die 190.000 übergabereife Unternehmen für den Zeitraum von 2022 – 2026 darunter alleine 50.100 aus dem produzierenden Gewerbe[1].
Übersetzt bedeutet dies: im Handwerk muss man nicht selbst gründen um ein erfolgreicher Unternehmer zu werden, sondern man kann die Nachfolge antreten und damit das eigene unternehmerische Risiko senken. Kombiniert mit einer gezielten Übernahme über ein Zeitfenster von 3-5 Jahren ist der Erfolg vorprogrammiert.
Genau diese Entwicklungen scheinen an den modernen Helikopter Eltern vorbei gegangen zu sein. Sie haben nur ihren eigenen Arbeitsplatz im Detail im Kopf und frönen dem Anspruch, dass nur ein Studium das einzig Wahre ist. Ausbildung ist Ausbeutung und Drecksarbeit und dies sollen die eigenen Kinder nicht erleben. Die Überbehütung der Jugend verhindert zudem die konsequente Entdeckungsreise nach Stärken und Vorlieben der Jüngsten – mit fatalen Folgen. Die Jugend wandelt zwischen den Welten. Zwischen Selbstfindung, Anspruch an Nachhaltigkeit und bestehender Angebotsvielfalt kombiniert mit der Work-Life-Balance bleibt wenig ernsthafte Auseinandersetzung mit Leistung, Kompetenzaufbau und realem Leben. Die Eltern haben verlernt, mit ihren Kindern auf Entdeckungsreise zu gehen, ihnen Optionen der Vielfalt aufzuzeigen und ihnen ein wertfreier Ratgeber für die berufliche Ausrichtung zu sein. Doch woher sollen sie es auch wissen, wo sie doch selbst gerade auf Zukunftssichtung sind und ihr Job eigentlich morgen schon nicht mehr existent sein wird.
Und so finden Menschen in die Arbeitswelt, die aus der Gaming- oder Künstler-Szene kommen und den aktuellen Puls der Zeit aufgenommen haben. Graffiti Sprayer gestalten Kantinen oder Besprechungsräume in Unternehmen, Influencer haben den Hoteltester abgelöst und aus dem Chaos Computer Club werden die Teilnehmer gleich in die IT-Security Abteilung abgeworben. Die berufliche Karriere ist nicht mehr stringent und statisch. Vielmehr ist sie flexibel, agil und dynamisch – das dazugehörige Ausbildungssystem allerdings noch nicht in allen Bereichen.
Und so sucht sich der Arbeitsmarkt seine eigenen Wege, sich die Ressource Mensch zu erschließen, die es braucht, um auch weiterhin erfolgreich am Markt zu sein.
Das rasante Wachstum an Möglichkeiten in der Digitalen Welt, der Analytik und der Künstlichen Intelligenz warten nicht darauf, dass ein IHK- oder HWK-System die Voraussetzungen geschaffen hat, die neue Welt sucht sich ihre eigenen Wege. YouTube spielt auf einmal im Wissensaufbau rund um Jobs eine neue Rolle und der Weg zur Selbstfindung der beruflichen Zukunft findet immer öfter entkoppelt von den vorhandenen Marktstrukturen statt.
Dabei wäre es gerade jetzt so entscheidend, die Suche nach der beruflichen Zukunft an den eigenen Stärken auszurichten. Auf die Suche zu gehen, was begeistert den Nachwuchs und wie lässt sich das in eine Unternehmenswelt integrieren, deren Jobs und Kompetenzanforderungen wir heute teilweise noch nicht für morgen kennen.
Die Veränderung darf nicht länger Angst, sondern muss Stolz hervorrufen. Denn nie war es so einfach, sich durch die ständige Weiterentwicklung über Ausbildung, Studium und Weiterbildung immer wieder neu zu erfinden und somit dafür zu sorgen, bis zum Ende des eigenen Arbeitsleben relevant für den Arbeitsmarkt und Unternehmenswelt zu sein.
Stattdessen erhöht sich die Zahl der vermittelten Azubis in die Jobwelt durch die Agentur für Arbeit, weil sie aus ihrem Alltag heraus immer seltener den Weg in die geeignete Ausbildung finden. Und damit haben die Stärken und Potenziale des Nachwuchses wesentlich weniger Einfluss auf die Berufswahl als das sein sollte.
Fazit:
Ein entscheidendes Gesellschaftsformat wie die Duale Ausbildung, das seine Daseinsberechtigung verliert, dass sein Ansehen in den Schrank gelegt zu haben scheint und deren Protagonisten es nicht einmal bemerken, wird sehr schnell an einen Punkt kommen, an dem es untergeht. Die Woche der Ausbildung ist ein Vorläufer und sollte die Wirtschaft aufschrecken und alarmieren.
Doch auch die Eltern sollten zurück in ihre Rolle als Lebens- und Berufsberater ihrer Kinder finden. Dies setzt voraus, dass Eltern auf dem aktuellen Stand der Möglichkeiten in der Berufswelt sind und sich stärken als früher für die Vielfalt interessieren. Sie müssen den Glaubenssatz über Bord werfen, dass man eine Ausbildung für die Ewigkeit macht, sondern vielmehr nur für den ersten Einstieg.
Und Jugendlichen muss noch mehr aufgezeigt werden, welche Chance ihnen zu Füßen liegen. Nicht im klassischen Sinne in einem Messebesuch, sondern in Form von Begegnungen und Challenge zwischen jungen Menschen und Unternehmen. Jugendliche sollten verstehen, dass die Berufswelt eine lebenslange Entdeckungsreise ist, in der man sich kontinuierlich Kompetenzen aneignet.
Und Unternehmen müssen sich die Frage gefallen lassen, ob es noch zeit- und sinngemäß ist, einen Menschen anhand von Schulnoten und Anschreiben zu bewerten, statt dem Menschen die Chance zu geben, sich in kleinen Projekten zu beweisen. Die Unternehmen haben zudem eine weitere Zielgruppe im Recruiting neu zu entdecken – die Eltern, deren Wissensdefizite massive Folgen auslösen.
Nur gemeinsam kann der Stolz und die Wertschätzung für die duale Ausbildung zurückkehren und damit ihr Wert für den Wohlstand Deutschlands eine Renaissance der Bedeutung erhält.
Es gibt viel zu tun, denn der Tiefpunkt mit geschätzten 460.000 Ausbildungssuchenden kommt erst noch 2025 so das Bundesinstitut der Berufsbildung – BIBB[2].
[1] https://www.ifm-bonn.org/fileadmin/data/redaktion/publikationen/daten_und_fakten/dokumente/Daten-und-Fakten_27_2021.pdf, 20.03.22
[2] https://www.bibb.de/de/bibb-erhebung_2021_info.php, 20.03.22
Bildquelle: unsplash.com I @arturo-rey-CbNkoIWiccg I @devn-JmmXKlJ8MKQ I @annie-gray-WEWTGkPUVT0